Die Zeitzeugin Maria Andrzejewska


Maria Andrzejewska - ihr Erfassungsfoto im Berliner Durchgangslager"Gleich nach dem Ankommen im Lager (es war Mittag) musste ich mich nackt ausziehen. Man gab mir die Kleidung, die aus einer Uniform geschneidert wurde. Das waren: Hose, Bluse und Kopftuch. Keine Unterwäsche. Schuhe gab man mir auch nicht." [1]

Dies sind die Erinnerungen, die Maria Andrzejewska zu ihrem ersten Tag im Frauen-Arbeits-Erziehungslager Fehrbellin (im Folgenden AEL Fehrbellin) im Gedächtnis geblieben sind. Vor ihrem Aufenthalt in Fehrbellin war sie bereits Zwangsarbeiterin in Berlin. Sie wurde am 8.9.1918 in Lewiny (Polen) als Maria Kawecka geboren. Maria Andrzejewska wurde am 17.11.1942 auf dem Weg zu ihrer Arbeit gefangengenommen und nach Deutschland verschleppt. Dort musste sie 12 Stunden täglich für die Berliner Firma Dr. Klaus Gottwart in deren technischen Fabrik in der Köpenicker Straße 50 arbeiten. In dieser Fabrik wurden unter anderem Teile für Flugzeuge und U-Boote hergestellt.
Hier musste Maria Andrzejewska erfahren, wie man in Deutschland mit "Polenschweinen" umging, wie die Zwangsarbeiterinnen von einer ihrer Aufseherinnen beschimpft wurden: Zum Essen bekamen die Zwangsarbeiterinnen zwei mal wöchentlich ausgeteiltes Schwarzbrot (je 1 Kilo) mit 50 Gramm Margarine und einem Löffel Marmelade aus roten Rüben oder einer Scheibe Käse. Die hygienischen Bedingungen waren so schlecht, dass die Frauen zwei Monate lang mit derselben Unterwäsche auskommen mussten. Es gab für die Frauen nur ein Waschbecken mit warmem Wasser.

Im August 1944 versuchte Maria Andrzejewska aus der Fabrik zu flüchten, wurde dabei jedoch entdeckt und mit einem Zug ins AEL Fehrbellin gebracht. Morgens und abends wurde Appell abgehalten, der jeweils zwischen einer halben und zwei Stunden andauerte. Geweckt wurden die Zwangsarbeiterinnen um 4.30 Uhr, um dann 12 Stunden in der Bastfaser-Fabrik zu arbeiten. In der ersten Zeit ihres Aufenthaltes im AEL Fehrbellin musste Maria Andrzejewska Flachsgarben transportieren, später Hanf aus Schiffen ausladen und die Garben stapeln. Die letzten drei Wochen arbeitete sie in der Bastfaser-Fabrik.
Gerade bei den Arbeiten unter freiem Himmel zogen sich die Frauen schmerzhafte Wunden an den Füßen zu, da sie ohne Schuhe auf dem Stoppelfeld laufen mussten. Maria Andrzejewska kratzte sich abends den Sand aus ihren Wunden. Außerdem bildeten sich durch das Tragen der Garben Blasen an den Händen, die dann aufplatzten. Auch die hygienischen Bedingungen waren katastrophal: Es gab keine Seife und 100 Duschende mussten sich ein einziges Handtuch teilen. Das Wasser war kalt. Wenn es regnete und die Kleidung der Frauen durchnässt war, zogen sie die nassen Lumpen nach dem allabendlichen Duschen wieder an und schliefen darin. Hinzu kommt, dass die Lagerinsassinnen äußerst dürftig ernährt wurden:

"Zum Frühstück bekamen wir dunkles, bitteres Brot, dazu einen Teelöffel Marmelade aus roten Rüben. Die Brotscheibe war etwa 8 x 8 cm groß und 0,5 cm dick. Zum Trinken gab es ungesüßten Malzkaffee in Blechnäpfen."

Zum Mittag und zum Abendbrot gab es in der Regel eine wässrige Kohlsuppe. Die Ernährung war so schlecht, dass die meisten Frauen während der Arbeit zusätzlich Hanf- und Flachssamen aßen. Zu all diesen unmenschlichen Bedingungen kamen noch Strafen, über die Maria Andrzejewska schreibt:

"Ich erinnere mich, eines Tages stand eine Lagerinsassin bereits während des Morgenappells in der Mitte des Hofes stramm. Während des Mittagessens ebenso. Abends war sie nicht mehr da. Ein anderer Fall: Eines Tages meldete eine Polin, sie sei krank. Man maß ihr die Temperatur, sie hatte 37,7 (um krank zu sein, musste man über 38 haben), also wurde sie so gewaltig zusammengeschlagen und getreten, so dass sie nur stöhnte: 'Schwesterchen, rettet mich'. Es war aber unmöglich, ihr zu helfen. Abends starb sie."

Eine andere Bestrafung war neben Prügelstrafen das teilweise einmonatige Einsperren in den Kerker. Nach zehn Monaten im AEL Fehrbellin bekam Maria Andrzejewska als Lohn für ihre verrichtete Arbeit 10 Pfennig, da sie u.a. einen Zellstoffverband und Briefmarken nachbezahlen musste. Hier wird deutlich, dass alles versucht wurde, um die Häftlinge nicht zu entlohnen und dass es sich nur um eine fiktive Bezahlung handelte. Anschließend wurde Maria Andrzejewska nach Berlin ins Gefängnis gebracht, arbeitete danach für kurze Zeit in noch nicht ausgebombten Teilen der Fabrik der Firma Dr. Klaus Gottwart, bis sie schließlich zusammen mit den noch vorhandenen Maschinen nach Klausdorf transportiert wurde, wo sie die letzte Zeit bis zum Kriegsende Zwangsarbeit verrichtete. Dann kehrte sie nach Polen zurück, wo sie 1950 Tadeusz Andrzejewski [2] heiratete und an der Lodzer Technischen Hochschule arbeitete. Heute lebt Maria Andrzejewska allein und bestreitet ihren Unterhalt von ihrer Rente. Die Erinnerungen an ihre Internierung in Fehrbellin, an deren Ende sie nur noch 28 Kilogramm wog, fasst sie wie folgt zusammen:

"In den ersten Tagen meines Lageraufenthalts lebte ich in ständiger Angst. Ich versuchte mich an die aufgezwungene strenge Lagerordnung zu halten, um keine Knüppelschläge zu bekommen; und mit diesem Knüppel schlug man gewöhnlich auf den Kopf. Später erfolgte eine Art Lähmung, einfach ein Verzicht auf das Leben: Der Schmerz in den Händen mit geplatzten Blasen und Füßen voller Wunden trübte meinen Verstand. Ich war ohne Gedanken. Ich lebte wie in Trance, und es war mir völlig egal, ob ich den nächsten Tag überlebe. Sogar am Tag der Entlassung verspürte ich keine Freude. Es bedurfte viel Zeit und Mühe, das Gleichgewicht wiederzuerlangen. Nach großen geistigen Anstrengungen gelang dies mir, aber dieses Leiden blieb tief in mir, wohl für immer."