Zwangsarbeit [1]


Einst war die Bevölkerung in den besetzten Gebieten in Osteuropa nur "Menschenmaterial", Rohstoff für ein Regime und seinen Krieg. Erst jetzt wächst das Bewusstsein dafür, dass Zwangsarbeit im "Dritten Reich" nicht etwas Normales, sondern ein Verbrechen an den Ausgebeuteten war. "Späte Buße" wird nun getan mit dem Entschädigungsgesetz, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung unlängst titelte. Doch noch immer wissen viele Deutsche von damals wie auch die Nachgeborenen kaum, was eigentlich unter dem Sammelbegriff "Zwangsarbeit im Dritten Reich" geschah. Warum holte das NS - Regime Millionen zumeist OsteuropäerInnen, um im Reich auf Äckern, in Werkhallen oder in Haushalten ihren Schweiß und oft genug ihr Leben zu lassen?


Über die angebliche Notwendigkeit von Zwangsarbeit

Deutschland war in der Mitte der dreißiger Jahre kaum wiederzuerkennen. Während noch vor wenigen Jahren eine hohe Arbeitslosigkeit herrschte, brummte jetzt die Konjunktur. Arbeitskräfte waren knapp. Bereits 1935 wurde der Reichsarbeitsdienst (RAD) zunächst freiwillig und schließlich als Pflichtjahr eingeführt, um diesem Arbeitskräftemangel beizukommen.
Dieser verschärfte sich mit Beginn des Krieges jedoch zusehends. Die Wehrmacht zog Millionen arbeitsfähiger Männer zum Dienst an der Waffe, während die Industrie- und Rüstungsproduktion stieg. Im Zuge der alliierten Luftangriffe auf deutsches Gebiet verringerte sich durch zahlreiche Faktoren zudem die Produktivität der Wirtschaft. Arbeitskräfte wurden händeringend gesucht, es gab einen Mangel sondergleichen.

Mit einer Serie von Plakataufrufen versuchte die deutsche Wirtschaft Fremdarbeiter für Deutschland anzuwerben. 'Ich lebe in einer deutschen Familie und fühle mich wohl', lässt das Plakat die junge Fremdarbeiterin verkünden. Unterstellte Äußerungen wie diese täuschten allerdings über die tatsächliche Arbeitssituation hinweg. Als freiwillige Fremdarbeiter sich nicht in genügender Zahl meldeten, setzten die Zwangsdeportationen ein. Quelle: '... die vielen Morde'. Dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Hrsg.: Berliner Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung und Schulentwicklung. Zunächst wurde versucht diesem mit der vertraglichen Anwerbung von ArbeiterInnen entgegenzuwirken. Die Anwerbungsgebiete lagen dabei in den "Ostgebieten" (gemeint sind Polen, Tschechien, das Baltikum sowie die besetzten Gebiete der damaligen Sowjetunion - aber auch die besetzten Gebiete im Westen und Süden, hier vornehmlich Frankreich sowie der Balkan).
Da diese VertragsarbeiterInnen den Bedarf an billiger und möglichst anspruchsloser Arbeitskraft nicht decken konnten, artete die Anwerbung alsbald zu einer regelrechten Sklavenjagd aus. Hierbei wurden Menschen z.B. beim Besuch von Kinovorstellungen, beim Anstehen nach Lebensmitteln oder willkürlich aus der Masse an einem Verkehrsknotenpunkt verhaftet. Neben den Besatzungsbehörden spielten hierbei auch die Wehrmacht bzw. die entsandten Polizeitruppen (Kriminalpolizei, Gestapo als auch Schutzpolizei) eine wesentliche Rolle. Leiter dieser Arbeitskräftebeschaffung war ab März 1942 Fritz Saukel, Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz und Gauleiter der NSDAP in Thüringen.


Lebensbedingungen als ZwangsarbeiterIn

Polnische Jugendliche als Zwangsarbeiter beim Straßenbau in Deutschland, etwa 1941. Quelle: '... die vielen Morde'. Dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Hrsg.: Berliner Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung und Schulentwicklung. Die Lebensbedingungen der ArbeiterInnen waren schlecht. Obwohl man immer wieder Berichte über eine sehr menschliche, gar freundschaftliche Behandlung findet, ist davon auszugehen, dass die meisten ZwangsarbeiterInnen unter menschenunwürdigen Bedingungen, unter Überwachung, in Angst und unter ständiger Strafandrohung lebten. Der Mangel an Ernährung, Freizeit, menschlichen Beziehungen und die fehlende Möglichkeit zur Selbstverwirklichung sind hierbei Zeichen der Unmenschlichkeit.

Die ZwangsarbeiterInnen waren zahlreichen Repressionen ausgesetzt. So wurden sie im öffentlichen Leben mit Abzeichen gekennzeichnet und durften sich nicht frei bewegen. Die Strafen für Delikte waren durchweg schärfer als für deutsche Delinquenten und auf Sexualkontakt mit einem/einer Deutschen stand sogar der Tod.
Auch die Arbeitsbedingungen lagen weit unter den Standards, die deutsche ArbeiterInnen genossen. Der Arbeitsschutz ging oft gegen Null.


Verspätete "Entschädigung"

Nach dem Krieg geriet das Thema in Deutschland erst einmal in Vergessenheit, zumal Zehntausende deutscher Soldaten - die letzten bis 1955 - in den sowjetischen Straflagern interniert waren. Eine Diskussion um eine Entschädigung wurde in der Adenauer - Ära nicht geführt. Diese kam erst in den späten 60er und 70er Jahren auf. Ehemalige ZwangsarbeiterInnen aus West- und Südeuropa erhielten eine Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz für einen nachweisbaren Freiheitsentzug. Entschädigungen für Repressionen oder Ansprüche gegen die ArbeitgeberInnen konnten jedoch nicht geltend gemacht werden. Auch erhielten ehemaligen ZwangsarbeiterInnen aus der damaligen Sowjetunion nach diesen Gesetzen gar keine Entschädigung - eine Folge des Ost - West - Konfliktes.

Die Diskussion um die umfassende Entschädigung für ehemalige ZwangsarbeiterInnen kam in Deutschland erstmals Ende der 80er Jahre auf. Bis zur deutschen Einigung und den sogenannten 2 + 4 Verträgen berief sich die bundesdeutsche Regierung unter Helmut Kohl auf den ausstehenden Friedensvertrag für den Zweiten Weltkrieg.
Bis 1998 hielt die Regierung Kohl, mutmaßlich unter Berücksichtigung der Lobbyinteressen der Industrie, die Diskussion um eine Entschädigung nieder. Laut SPIEGEL ging die Regierung davon aus, dass die Ansprüche riesig und nicht ohne weiteres zu stemmen seien. In einem Strategiepapier, so der SPIEGEL, wurde festgelegt, das Problem der Zwangsarbeitsentschädigung totzuschweigen und so "durch die Zeit erledigen" zu lassen.
Vorderseite der Arbeitskarte von Ewdokija Galygina, geb. 1925, gestorben 1944 im Zentralkrankenlager der Siemens-Firmen am Bahnhof Jungferbheide. Todesursache: Schädelbruch/Hirnblutung. Quelle: '... die vielen Morde'. Dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Hrsg.: Berliner Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung und Schulentwicklung.Erst nach dem Regierungswechsel und mehreren Sammelklagen ehemaliger ZwangsarbeiterInnen in den USA wurde im Mai 2001 von der Bundesregierung in Berlin ein entsprechendes Gesetz zur Entschädigung von Zwangsarbeitern verabschiedet. Nachdem einige deutsche Firmen schon freiwillige Zahlungen geleistet hatten, wurde ein Fonds im Wert von 10 Milliarden DM (rd. 5 Milliarden Euro) für die Entschädigung der ZwangsarbeiterInnen gegründet.

Die Einzelbeträge, die die jeweiligen ehemaligen ZwangsarbeiterInnen bekommen, sind im Vergleich zum erlittenen Unrecht lächerlich gering. Zudem wird nur ein Bruchteil aller tatsächlich Betroffenen ausbezahlt: Viele ehemalige ZwangsarbeiterInnen können ihre Verschleppung nicht mehr nachweisen. Andere verstarben in den letzten 50 Jahren, nicht zuletzt auch an den Folgen der schweren gesundheitlichen Schäden durch die geleistete Arbeit. Die meisten ZwangsarbeiterInnen haben nie einen Heller Entschädigung gesehen.